Gewerbsmäßige Tatbegehung (§ 38 FinStrG alt) und Günstigkeitsvergleich (§ 4 Abs 2 FinStrG) – BFG sagt nein zur Anwendung des mit 23.07.2019 aufgehobenen § 38 FinStrG bei „Altfällen“ im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren. Das BFG ist somit der Begründung unserer Kanzlei gefolgt.

Gleich vorweg: Das BFG hat mit seiner Entscheidung vom 16.06.2020 zu Zahl BFG RV/7300010/2020 klargestellt, dass im Rahmen des hier anzustellenden Günstigkeitsvergleiches zwischen Tatzeitrecht und Entscheidungszeitrecht letzterem der Vorrang zukommt und daher im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren die zum Tatzeitrecht noch bestehende gewerbsmäßige Begehung iSd § 38 FinStrG (außer Kraft getreten mit BGBl I 2019/62) keine Anwendung (mehr) findet. Zukünftig erfolgt daher die Prüfung der gewerbsmäßigen Begehung in „Altfällen“ nur mehr im Rahmen des Erschwerungsgrundes gemäß § 23 Abs 2 FinStrG. Die Erwägungen des BFG, welche zu dieser Entscheidung geführt haben, seien nachstehend erläutert.

Sachverhalt/Ausgangslage:

In verfahrensgegenständlicher Angelegenheit hatte das BFG ua die Rechtsfrage zu entscheiden, ob hinsichtlich der Abgabenhinterziehungen für den Zeitraum 2009 bis 2015 im Rahmen des anzustellenden Günstigkeitsvergleichs die gewerbsmäßige Tatbegehung (welche ab 23.7.2019 aufgehoben wurde) im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren bei sog. „Altfällen“ (noch) Anwendung findet oder nicht. Aufgrund der Zeiträume der Abgabenhinterziehungen waren in den Günstigkeitsvergleich vom BFG einerseits mehrere Fassungen des § 38 FinStrG (Tatzeitrecht) miteinzubeziehen. Nämlich BGBl I 2010/104 (mit Wirkung ab dem 1.1.2011 bis 31.12.2015),[1] BGBl I 2015/163 (ab 1.1.2016 bis 22.7.2019) sowie BGBl I 2019/62, mit dem § 38 FinStrG ab 23.7.2019 aufgehoben wurde. Andererseits war § 33 FinStrG in den Günstigkeitsvergleich miteinzubeziehen, nachdem mit BGBl I 2019/62 ab 23.7.2019 in § 33 Abs 5 FinstrG die Freiheitsstrafdrohung – nach Maßgabe des § 15 FinStrG – auf 4 Jahre erhöht wurde (Entscheidungszeitrecht). Gleichzeitig wurde durch BGBl I 2019/62 mit Wirkung ab 23.07.2019 die gewerbsmäßige Begehung ausschließlich als Erschwerungsgrund in 23 Abs 2 FinStrG geregelt. Das Erkenntnis des Spruchsenates wurde am 19.11.2019 mündlich verkündet.

Rechtliche Grundlagen und Kommentierungen:

a) Die gewerbsmäßige Tatbegehung gemäß § 38 FinStrG alt (idF BGBl I 2015/163)

Zunächst sei nochmals die – vor Aufhebung mit Wirkung ab 23.07.2019 – letzte Fassung des § 38 FinStrG angeführt:

§ 38.

 (1) Mit Geldstrafe bis zum Dreifachen des Betrages, nach dem sich sonst die Strafdrohung richtet, ist zu bestrafen, wer, ohne den Tatbestand des § 38a oder des § 39 zu erfüllen, die Abgabenhinterziehung, den Schmuggel, die Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben oder die Abgabenhehlerei nach § 37 Abs. 1 gewerbsmäßig begeht. Daneben ist nach Maßgabe des § 15 auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, bei einem strafbestimmenden Wertbetrag von mehr als 500 000 Euro auf Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren zu erkennen. Außerdem sind die Bestimmungen der §§ 33, 35 und 37 über den Verfall anzuwenden; der Verfall umfasst auch die Beförderungsmittel im Sinne des § 17 Abs. 2 lit. c Z 3. Die Strafdrohung gilt nur für diejenigen Beteiligten, deren Vorsatz die gewerbsmäßige Begehung umfasst.

(2) Gewerbsmäßig begeht eine in Abs. 1 genannte Tat, wer sie mit der Absicht ausführt, sich durch ihre wiederkehrende Begehung einen nicht bloß geringfügigen fortlaufenden abgabenrechtlichen Vorteil zu verschaffen, und

1. unter Einsatz besonderer Fähigkeiten oder Mittel handelt, die eine wiederkehrende Begehung nahelegen, oder
2. zwei weitere solche Taten schon im Einzelnen geplant hat oder
3. bereits zwei solche Taten begangen hat oder einmal wegen einer solchen Tat bestraft worden ist.
Ein nicht bloß geringfügiger abgabenrechtlicher Vorteil ist ein solcher, der nach einer jährlichen Durchschnittsbetrachtung monatlich den Betrag von 400 Euro übersteigt.“ (Hervorhebungen durch den Autor)

 

Die gewerbsmäßige Tatbegehung des § 38 FinStrG „alt“ war sohin Qualifikationstatbestand zum § 33 FinStrG und sah iW höhere Strafdrohungen vor. Im hier interessierenden Bereich des verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahrens betrug die Geldstrafe im Tatzeitrecht bis zum Dreifachen des verkürzten Betrages, daneben konnte nach Maßgabe des § 15 FinStrG auf eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren erkannt werden.

b) Die Abgabenhinterziehung gemäß § 33 FinStrG (idF BGBl I 2019/62)

Mit BGBl I 2019/62 ist mit Wirkung ab 23.07.2019 – im hier interessierenden Bereich – in § 33 Abs 5 FinStrG folgende Änderung in Kraft getreten:

„(5) Die Abgabenhinterziehung wird mit einer Geldstrafe bis zum Zweifachen des für den Strafrahmen maßgeblichen Verkürzungsbetrages (der ungerechtfertigten Abgabengutschrift) geahndet. Dieser umfasst nur jene Abgabenbeträge (ungerechtfertigte Gutschriften), deren Verkürzung im Zusammenhang mit den Unrichtigkeiten bewirkt wurde, auf die sich der Vorsatz des Täters bezieht. Neben der Geldstrafe ist nach Maßgabe des § 15 auf Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren zu erkennen.“ (Hervorhebungen durch den Autor)

Im Entscheidungszeitrecht beträgt die Geldstrafe (wie bisher) bis zum Zweifachen des verkürzten Betrages, daneben kann (nunmehr) nach Maßgabe des § 15 FinStrG auf eine Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren erkannt werden.

Aufgrund des Erkenntnisses des Spruchsenates vom 19.11.2019 und aufgrund des Umstandes, dass sämtliche Finanzvergehen vor dem 23.07.2019 vollendet waren, war daher ein Günstigkeitsvergleich anzustellen.

c) Das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs 2 FinStrG:

Das Günstigkeitsprinzip ist in § 4 Abs 2 FinStrG wie folgt geregelt:

„(2) Die Strafe richtet sich nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, dass das zur Zeit der Entscheidung des Gerichtes erster Instanz oder der Finanzstrafbehörde geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung für den Täter günstiger wäre.“

Das Bundesfinanzgericht führt hinsichtlich des Günstigkeitsvergleichs folgende Überlegungen an (unter Verweis auf Literatur und Rechtsprechung):

„Dabei ist jeweils die gesamte konkrete Finanzstrafrechtslage im Einzelfall zu vergleichen.

Verfehlt ist es allerdings, nur die Strafdrohungen des alten und des neuen Gesetzes einander gegenüberzustellen. Aus dem Vergleich der gesetzlichen Strafdrohungen für sich allein kann keine Richtschnur für die Beurteilung einer Tat gewonnen werden. Es kommt nicht auf einen Vergleich der beiden Gesetze in abstracto, sondern auf einen Vergleich in concreto, dh auf die Überprüfung ihrer Auswirkung in dem zu entscheidenden einzelnen Rechtsfall an (OGH 20.12.1961, 8 Os 174/61 (R4(2)/62]; OGH 21.10.2008, 11 Os 132/08 (R 4(2)/16]). Für die Frage, ob das zur Tatzeit oder das zur Zeit der Fällung der Entscheidung durch die Finanzstrafbehörde geltende Recht für den Täter günstiger ist, kommt es auf die nach beiden Rechtslagen vorgesehenen und in Betracht kommenden Sanktionen jeweils als Ganzes an (EB StGB zu § 61). Es dürfen also zB nicht nur die angedrohten Geldstrafen verglichen werden, sondern es sind auch die anderen Rechtsfolgen wie Verfall und Wertersatz in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen (OGH 3.6.1975, 10 Os 42/75 (R4(2)/56]). Köck in FinstrG Bd. 1 2018, 5. Aufl. 2018, § 4, Kommentar zu § 4 [Rz 26, 27]. Zur Frage, ob sich aus den Strafbestimmungen des alten oder des neuen Gesetzes eine strengere Beurteilung einer Tat ergibt, ist also milderes jenes Gesetz anzusehen, nach dem der Täter im konkreten Fall eine günstigere Beurteilung erfährt. (Hervorhebungen auch im Original)

 Vergleicht man nunmehr die Tatzeitfassungen des § 38 FinStrG vor BGBl I 2019/62 so ergibt sich, dass die gewerbsmäßige Tatbegehung mit einer Geldstrafe bis zum Dreifachen des verkürzten Betrages zu bestrafen war und daneben (bei einem strafbestimmenden Wertbetrag von nicht mehr als EUR 500.000) nach Maßgabe des § 15 FinStrG auf eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren erkannt werden konnte. Nach ersatzloser Aufhebung des § 38 FinStrG ab 23.07.2019 wurde aber gleichzeitig in § 33 Abs 5 FinStrG die Freiheitsstrafdrohung (bei gleichbleibender Geldstrafendrohung mit dem Zweifachen des verkürzten Betrages) – nach Maßgabe des § 15 FinStrG – auf vier Jahre erhöht (Entscheidungszeitfassung). Beim Günstigkeitsvergleich im Bereich des verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahrens ist jedoch noch eine wesentliche Bestimmung zu beachten, nämlich § 15 Abs 3 FinStrG.

d) Die Regelung des § 15 Abs 3 FinStrG im Überblick:

  • 15 Abs 3 FinStrG lautet wie folgt:

„(3) Bei Finanzvergehen, deren Ahndung nicht dem Gericht vorbehalten ist, darf eine Freiheitsstrafe nur in den Fällen des § 58 Abs. 2 lit. a verhängt werden; sie darf das Höchstmaß von drei Monaten nicht übersteigen.“ (Hervorhebungen durch den Autor)

Im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren wird durch § 15 Abs 3 FinStrG das Höchstmaß der zu verhängenden Freiheitsstrafe auf 3 Monate begrenzt. Eine solche Freiheitsstrafe darf nur von einem Spruchsenat verhängt werden und ist weiters nur dann zulässig, wenn der Spruchsenat wegen der Höhe des strafbestimmenden Wertbetrages zuständig ist. Dies ist nach § 58 Abs 2 lit a FinStrG nur dann der Fall, wenn der strafbestimmende Wertbetrag bei den im § 53 Abs 2 FinStrG bezeichneten Finanzvergehen EUR 15.000,00, bei allen übrigen Finanzvergehen EUR 33.000,00 übersteigt. Bei § 15 Abs 3 FinStrG handelt es sich daher – wie der Verteidiger auch im Rahmen der Stellungnahme an das Bundesfinanzgericht ausgeführt hat – NICHT um eine Strafzumessungsregel, sondern um eine Bestimmung, welche bei allen verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren, welche einem Spruchsenat iSd § 58 Abs 2 lit a FinStrG zugewiesen sind, das HÖCHSTMASS der Freiheitsstrafe auf 3 Monate begrenzt.

Schlussfolgerungen:

Das Bundesfinanzgericht hat im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs ausgeführt, dass für sämtliche begangene Finanzstraftaten (in den jeweiligen Altfassungen des § 38 FinStrG) das Entscheidungsrecht (mündliche Verkündung des Erkenntnisses des Spruchsenates am 19.11.2019) günstiger ist: „Die Geldstrafdrohung „alt“ beträgt das Dreifache, die Geldstrafdrohung „neu“ das Zweifache des maßgeblichen Verkürzungsbetrages (§ 33 Abs. 5 FinStrG), bei gleichbleibender Ersatzfreiheitsstrafdrohung (§ 20 Abs. 2 FinStrG} und ebenso gleicher Freiheitsstrafdrohung (§ 15 Abs. 3 FinStrG).“ (Hervorhebungen durch den Autor). Und das Bundesfinanzgericht weiter: „Ein Vergleich der abstrakten Freiheitsstrafdrohungen, die im gerichtlichen Finanzstrafverfahren anzuwenden sind/waren, ist mangels Anwendbarkeit für verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren nicht durchzuführen, weil diese für die Beurteilung des gegenständlichen Falles keine Auswirkungen haben können.“

Liegt daher verwaltungsbehördliche Zuständigkeit vor, ist das Entscheidungszeitrecht günstiger, zumal die Zulässigkeit der Verhängung von Freiheitsstrafen durch § 15 Abs 3 FinStrG beschränkt ist, da es sich um eine zwingende Regelung und um keine Strafzumessungsregel handelt. Insofern liegt auch kein Widerspruch zur Rsp des OGH im gerichtlichen Finanzstrafverfahren[2] – welche hier nicht erörtert wurde – vor. Die niedrigere Geldstrafdrohung macht daher bei verwaltungsbehördlicher Zuständigkeit in den Fällen der gewerbsmäßigen Tatbegehung den entscheidenden Unterschied zugunsten des Entscheidungszeitrechts. Unter diesen Aspekten war (und ist) daher § 38 FinStrG (idF BGBl I 2010/104, BGBl I 2015/163)[3] in den vorstehend angeführten „Altfällen“ im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren NICHT mehr anzuwenden.

[1] Die Fassung BGBl 2012/112 hat hier insoweit keine Relevanz

[2] OGH vom 11.12.2019, 13 Os 88/19v

[3] Die Fassung BGBl 2012/112 hat hier insoweit keine Relevanz