Die 10 Gebote im Finanzstrafrecht
Das 4. Gebot im Finanzstrafrecht– Die vertretbare Rechtsansicht – „Die Verteidigungslinie“!

Die vertretbare Rechtsansicht ist ein wesentliches Verteidigungsinstrument, welches zwar oft vorgebracht, aber in vielen Fällen nicht begründet ausgeführt wird und sohin auch in vielen Fällen nicht zum gewünschten Ziel führt. 

1. Warum ist die „vertretbare Rechtsansicht“ ein Gebot – die Motive

Zunächst ist die Frage zu stellen, welche Motive für diesen (Verteidigungs-)Ansatz sprechen, welcher im Idealfall zur Straffreiheit führen kann. Dieses Instrument ist ja nicht gesetzlich geregelt. Gleich vorab: es gibt unzählige Motive, welche gleichzeitig auch in den Prüfungsmaßstab einfließen sollten. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den häufigsten Tatbeständen im Finanzstrafrecht um sog. Blankettstrafnormen handelt. D.h. diese Tatbestände müssen durch abgabenrechtliche Normen (und somit auch durch abgabenrechtlich festgestellte Sachverhalte) aufgefüllt werden, sohin in den jeweiligen Tatbestand hineingelesen werden. Konkret: Ob eine (und welche) abgabenrechtliche Anzeige, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht iSd § 33 Abs. 1 FinStrG verletzt wird, ergibt sich aus dem gesamten Steuerrecht und nicht aus dem Tatbestand selbst. Hierbei wird natürlich auch die gesamte Komplexität des Steuerrechts „hineingelesen“. Gesetze, Richtlinien, Erlässe, und vieles mehr sehen zahlreiche Auslegungs- und Anwendungsspielräume vor, welche nicht zu Lasten des Beschuldigten gehen sollen. Dies widerspiegelt sich selbstverständlich auch in der Judikatur und Literatur. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine derartige Pflichtverletzung nicht nur objektiv vorliegt, sondern – im Sinne des § 33 Abs. 1 FinStrG – auch subjektiv vom Vorsatz umfasst sein muss. Ob das der Fall ist, hängt nicht zuletzt auch von der sog. „Parallelwertung in der Laiensphäre“ ab. D.h. inwieweit war dem Beschuldigten, z.B. aufgrund seiner Vorbildung, Ausbildung, seiner Tätigkeit, die Wertung der einzelnen Vorschrift erkennbar und somit vorwerfbar, insbesondere in komplexen steuerlichen Fragen. Letztlich sind aber auch die finanzstrafrechtlichen Verfahrens- und Beweisgrundsätzen selbst zu berücksichtigen. Nicht nur die Beweislast liegt bei der Finanzstrafbehörde, sondern – und das ist der wesentliche Punkt – auch das Beweismaß ist gegenüber dem Abgabenrecht wesentlich erhöht. Wird dieses im Finanzstrafrecht erforderliche Beweismaß durch geltend gemachte oder vorliegende Zweifel nicht erreicht, darf dies nicht zu Lasten des Beschuldigten gehen. Alle vorstehenden Motive und Überlegungen sind daher auch Ansatzpunkte für die Begründung einer vertretbaren Rechtsansicht. Die Prüfung der vertretbaren Rechtsansicht sollte daher in einem Fallprüfungsschema ebenfalls ganz oben stehen und diese Kriterien berücksichtigen. Nachfolgend soll nunmehr in einem kurzen Abriss versucht werden, ohne in die Untiefen der dogmatischen Auseinandersetzung „abzugleiten“, eine praktikable Handhabe zu finden, wie dieses Instrument angewendet werden kann.

2. Begriffsbestimmungen

Der Begriff der „Rechtsansicht“ wird u.a. in der Literatur[1] wie folgt beschrieben: „Von einer Rechtsansicht wird man nur sprechen können, wenn sich ein Abgabepflichtiger auf den Wortlaut einer konkreten Gesetzesbestimmung bezieht und diesen nach eigener Anschauung auslegt“. Der Autor würde diese Begriffsbestimmung unter Berücksichtigung der unter Punkt 1. ausgeführten Motive wie folgt ergänzen bzw. adaptieren: „Von einer Rechtsansicht spricht man dann, wenn sich ein Abgabepflichtiger auf den Wortlaut einer rechtlichen Bestimmung im konkreten Fall bezieht, welche er in Abhängigkeit seines eigenen Wissens unter Berücksichtigung seines Bildungsstandes auslegt.“ Auf den Punkt gebracht: die Motive wären in einer solchen Begründung iW „eingespeist“.

Die „Vertretbarkeit“ unterteilt der Autor wiederum in vier Begriffe: Objektive Vertretbarkeit: Bezugnahme auf das Vorliegen einer einschlägigen Literatur oder Judikatur (wohl dann auch auf Erlässe und Richtlinien des BMF) UND Ableitung der Rechtsansicht aus dem Gesetz ohne Verstoß gegen die Regeln der Logik.[2] Subjektive Vertretbarkeit: Andere (mögliche) Auslegung einer Bestimmung des Abgabenrechts als die Abgabenbehörde oder die Rechtsprechung durch den Abgabepflichtigen UND nach dem (nicht eindeutigen) Wortlaut der Bestimmung nicht ganz unvertretbar. Objektive Unvertretbarkeit jedoch letztlich subjektiv „irrtümliche“ Rechtsansicht: Der Wortlaut der jeweils steuerlichen Bestimmung ist ausreichend bestimmt und es besteht kein Spielraum für eine Auslegung (= objektive Unvertretbarkeit), wobei jedoch in subjektiver Sicht u.a. folgende Aspekte zu prüfen wären, nämlich a) ob und in welchem Ausmaß (subjektiv) Zweifel hinsichtlich der Vertretbarkeit vorlagen oder nicht sowie b) die Vorwerfbarkeit eines sich darauf beziehenden Irrtums sowie c) die Grenzen zumutbaren Verhaltens (z.B. hinsichtlich eigenen Wissens, Sorgfaltsmaßstab sowie damit verbundener allfällig (nicht) eingeholter Erkundigungen). Subjektive Unvertretbarkeit: Der Beschuldigte war von der Unvertretbarkeit überzeugt oder musste von der Unvertretbarkeit überzeugt sein und handelte somit tatbestandsmäßig.

3. Konsequenzen einer vertretbaren Rechtsansicht

Auf den Punkt gebracht, kann die vertretbare Rechtsansicht zur vollen/teilweisen Straffreiheit führen. Ohne jetzt – was hier ob der Länge nicht möglich ist – auf die einzelnen Meinungen in der Literatur einzugehen, ist nach Ansicht des Autors eine klare Unterscheidung zu treffen, ob die Straffreiheit aus dem Nichtvorliegen der objektiven oder subjektiven Tatseite resultiert. Wenn daher in der Judikatur vertreten wird, dass es dem Abgabepflichtigen freistehe, seine Rechtsansicht zu vertreten, doch muss er den Sachverhalt als solchen offenlegen[3] werden Verknüpfungen erstellt, welche als solche nicht erforderlich sind. Wird der Offenlegung entsprochen, d.h. mangelt es an einer dahingehenden Pflichtverletzung, bedarf es keines Rückgriffs auf eine vertretbare Rechtsansicht. ISd Offenlegungspflicht sind dabei sind jene Umstände offen zu legen, die für die Beurteilung der abgabenrechtlichen Fragen erheblich sind, oder andersrum, sind jene Umstände (wahrheitsgemäß) offen zu legen, die der Abgabenbehörde die Prüfung der zugrunde liegenden steuerlichen Fragen ermöglichen soll.[4] Dabei ist nach Ansicht des Autors selbstverständlich einerseits zu berücksichtigen, dass bei der Offenlegungspflicht die subjektive Komponente aus Sicht des Offenlegenden (z.B. was ist „erheblich“?) nicht außer Acht zu lassen ist andererseits, dass der Offenlegungspflicht eben auch durch die standardisierten Offenlegungspflichten (z.B. Abgabenerklärungen) Grenzen gesetzt sind. Die vertretbare Rechtsansicht spiegelt sich jedoch in der Judikatur ohnedies vor allem auf dem Entfall der Strafbarkeit auf der subjektiven Tatseite wider, entweder iSd des Nichtvorliegens der Kriterien nach
§ 8 FinStrG oder des Vorliegens der Kriterien nach § 9 FinStrG. So sei es denkunmöglich, einem Rechtsunterworfenen, der aufgrund einer vertretbaren Rechtsansicht gehandelt hat, Fahrlässigkeit zur Last zu legen.[5] Bei vertretbarer Rechtsansicht liegt keine Fahrlässigkeit vor, auch wenn diese Meinung nicht mit der Rechtsansicht der Abgabenbehörde übereinstimmt[6]. Die Entschuldbarkeit eines Verbotsirrtums ist bei Kenntnis der gegenteiligen Rechtsansicht der Abgabenbehörde[7] ausgeschlossen, was jedoch von der Lit (zurecht) in Abrede gestellt wird[8]. Aufgrund eines jüngeren Jud: Verneinung eines Vorsatzes aufgrund Vorliegens eines Irrtums hinsichtlich „Änderung von vertretbaren Rechtsansichten“.[9]

4. Überlegungen zu einem Prüfungsschema

Aus den bisherigen Ausführungen könnten sich für den Autor folgende Prüfungsschritte ergeben: a) Prüfung ob der Offenlegungspflicht entsprochen wurde auf Ebene des objektiven Tatbestandes, b) Prüfung der objektiven oder subjektiven Vertretbarkeit auf der Ebene des Vorsatz-/Fahrlässigkeitsvorwurfes nach § 8 FinStrG und c) Prüfung bei objektiver Unvertretbarkeit auf Ebene des Irrtums nach § 9 FinStrG, wobei bei sämtlichen Prüfungsschritten jeweils auf den Tatzeitpunkt abzustellen ist.

5. Fazit

Die vertretbare Rechtsansicht ist ausreichend zu begründen. Gleichermaßen wird sich daher der Beschuldigte – und auch die Behörde – u.a. damit auseinandersetzen müssen, wie der Beschuldigte zu dieser Rechtsansicht gelangt ist, Bildungsstand des Abgabepflichtigen, Sorgfaltsanforderungen im konkreten Fall, Inanspruchnahme von Beratern, sowie die Komplexität der Rechtsfrage samt den rechtlichen Grundlagen (gesetzliche Bestimmungen, Judikatur und Literatur) zum Tatzeitpunkt. Wie aus den vorstehenden Ausführungen erkennbar, liegt der Prüfungsmaßstab daher nicht in erster Linie an der sich aus der Rechtsordnung konkret verletzten gesetzlichen Norm, sondern WIE der Beschuldigte zur Vertretbarkeit seiner Rechtsansicht gekommen ist.[10]

6. Empfehlungen für die Betriebsprüfung

Es empfiehlt sich, die vertretbare Rechtsansicht schon in einem frühen Stadium einfließen zu lassen. Dazu eignet sich natürlich vor allem auch die Betriebsprüfung. Warum? Die Feststellungen in der Betriebsprüfung haben Indizcharakter auch für ein späteres Finanzstrafverfahren, da auch sämtliche Prüfungsberichte gelesen und durch die Finanzstrafbehörde ausgewertet werden. Daher kann auch im Rahmen der Einwendungen in der Betriebsprüfung die vertretbare Rechtsansicht schon so umfassend dargestellt und ausreichend begründet werden, dass in vielen Fällen schon ein nachfolgendes Finanzstrafverfahren verhindert werden kann.

Über den Autor:

Dr. Christian Eberl ist Rechtsanwalt und hat sich auf das Finanzstrafrecht spezialisiert, im Besonderen auf die Präventivabwehr im Vorfeld und die Begleitung des steuerlichen Vertreters des Abgabepflichtigen vor, in und nach der Betriebsprüfung iZm der finanzstrafrechtlichen Beratung/Verteidigung.

KONTAKT

Dr. Christian Eberl, Rechtsanwalt, Fachkanzlei für Finanzstrafrecht
christian.eberl@ra-eberl.at | www.www.ra-eberl.at

 

[1] Seiler/Seiler, Kommentar zum FinStrG, 5. Auflage, Rz 48 zu § 9 FinStrG

[2] Lässig, in WK zum StGB, 2. Auflage, Rz 2 zu § 9 FinStrG

[3] VwGH 6.8.1996, 95/17/0109; OGH 10.3.1992, 14 Os 61/91 sowie OGH 5.10.2006, 15 O 32/06d

[4] Siehe dazu die Ausführungen in VfGH 10.10.2018 (G-49-50/2017);

[5] VwGH v. 26.11.1998; 98/16/0199

[6] VfGH 3.7.1965, B 59/64

[7] VwGH 19.12.2001, 2001/13/0064

[8] Entschuldbarkeit bei Einholung von fachkundiger Auskunft möglich, dazu Lässig, in WK zum StGB, 2. Auflage, Rz 2 zu § 9 FinStrG

[9] BFG vom 5.7.2018, RV/3100302/2017

[10] Siehe dazu Aigner/Bräumann/Kofler/Tumpel, Vertretbare Rechtsansicht: In welchen Fällen kann sie eine Strafbarkeit im Finanzstrafrecht verhindern? in StAW Heft 2/2017, 134