2. Begriffsbestimmungen
Der Begriff der „Rechtsansicht“ wird u.a. in der Literatur[1] wie folgt beschrieben: „Von einer Rechtsansicht wird man nur sprechen können, wenn sich ein Abgabepflichtiger auf den Wortlaut einer konkreten Gesetzesbestimmung bezieht und diesen nach eigener Anschauung auslegt“. Der Autor würde diese Begriffsbestimmung unter Berücksichtigung der unter Punkt 1. ausgeführten Motive wie folgt ergänzen bzw. adaptieren: „Von einer Rechtsansicht spricht man dann, wenn sich ein Abgabepflichtiger auf den Wortlaut einer rechtlichen Bestimmung im konkreten Fall bezieht, welche er in Abhängigkeit seines eigenen Wissens unter Berücksichtigung seines Bildungsstandes auslegt.“ Auf den Punkt gebracht: die Motive wären in einer solchen Begründung iW „eingespeist“.
Die „Vertretbarkeit“ unterteilt der Autor wiederum in vier Begriffe: Objektive Vertretbarkeit: Bezugnahme auf das Vorliegen einer einschlägigen Literatur oder Judikatur (wohl dann auch auf Erlässe und Richtlinien des BMF) UND Ableitung der Rechtsansicht aus dem Gesetz ohne Verstoß gegen die Regeln der Logik.[2] Subjektive Vertretbarkeit: Andere (mögliche) Auslegung einer Bestimmung des Abgabenrechts als die Abgabenbehörde oder die Rechtsprechung durch den Abgabepflichtigen UND nach dem (nicht eindeutigen) Wortlaut der Bestimmung nicht ganz unvertretbar. Objektive Unvertretbarkeit jedoch letztlich subjektiv „irrtümliche“ Rechtsansicht: Der Wortlaut der jeweils steuerlichen Bestimmung ist ausreichend bestimmt und es besteht kein Spielraum für eine Auslegung (= objektive Unvertretbarkeit), wobei jedoch in subjektiver Sicht u.a. folgende Aspekte zu prüfen wären, nämlich a) ob und in welchem Ausmaß (subjektiv) Zweifel hinsichtlich der Vertretbarkeit vorlagen oder nicht sowie b) die Vorwerfbarkeit eines sich darauf beziehenden Irrtums sowie c) die Grenzen zumutbaren Verhaltens (z.B. hinsichtlich eigenen Wissens, Sorgfaltsmaßstab sowie damit verbundener allfällig (nicht) eingeholter Erkundigungen). Subjektive Unvertretbarkeit: Der Beschuldigte war von der Unvertretbarkeit überzeugt oder musste von der Unvertretbarkeit überzeugt sein und handelte somit tatbestandsmäßig.
3. Konsequenzen einer vertretbaren Rechtsansicht
Auf den Punkt gebracht, kann die vertretbare Rechtsansicht zur vollen/teilweisen Straffreiheit führen. Ohne jetzt – was hier ob der Länge nicht möglich ist – auf die einzelnen Meinungen in der Literatur einzugehen, ist nach Ansicht des Autors eine klare Unterscheidung zu treffen, ob die Straffreiheit aus dem Nichtvorliegen der objektiven oder subjektiven Tatseite resultiert. Wenn daher in der Judikatur vertreten wird, dass es dem Abgabepflichtigen freistehe, seine Rechtsansicht zu vertreten, doch muss er den Sachverhalt als solchen offenlegen[3] werden Verknüpfungen erstellt, welche als solche nicht erforderlich sind. Wird der Offenlegung entsprochen, d.h. mangelt es an einer dahingehenden Pflichtverletzung, bedarf es keines Rückgriffs auf eine vertretbare Rechtsansicht. ISd Offenlegungspflicht sind dabei sind jene Umstände offen zu legen, die für die Beurteilung der abgabenrechtlichen Fragen erheblich sind, oder andersrum, sind jene Umstände (wahrheitsgemäß) offen zu legen, die der Abgabenbehörde die Prüfung der zugrunde liegenden steuerlichen Fragen ermöglichen soll.[4] Dabei ist nach Ansicht des Autors selbstverständlich einerseits zu berücksichtigen, dass bei der Offenlegungspflicht die subjektive Komponente aus Sicht des Offenlegenden (z.B. was ist „erheblich“?) nicht außer Acht zu lassen ist andererseits, dass der Offenlegungspflicht eben auch durch die standardisierten Offenlegungspflichten (z.B. Abgabenerklärungen) Grenzen gesetzt sind. Die vertretbare Rechtsansicht spiegelt sich jedoch in der Judikatur ohnedies vor allem auf dem Entfall der Strafbarkeit auf der subjektiven Tatseite wider, entweder iSd des Nichtvorliegens der Kriterien nach
§ 8 FinStrG oder des Vorliegens der Kriterien nach § 9 FinStrG. So sei es denkunmöglich, einem Rechtsunterworfenen, der aufgrund einer vertretbaren Rechtsansicht gehandelt hat, Fahrlässigkeit zur Last zu legen.[5] Bei vertretbarer Rechtsansicht liegt keine Fahrlässigkeit vor, auch wenn diese Meinung nicht mit der Rechtsansicht der Abgabenbehörde übereinstimmt[6]. Die Entschuldbarkeit eines Verbotsirrtums ist bei Kenntnis der gegenteiligen Rechtsansicht der Abgabenbehörde[7] ausgeschlossen, was jedoch von der Lit (zurecht) in Abrede gestellt wird[8]. Aufgrund eines jüngeren Jud: Verneinung eines Vorsatzes aufgrund Vorliegens eines Irrtums hinsichtlich „Änderung von vertretbaren Rechtsansichten“.[9]
4. Überlegungen zu einem Prüfungsschema
Aus den bisherigen Ausführungen könnten sich für den Autor folgende Prüfungsschritte ergeben: a) Prüfung ob der Offenlegungspflicht entsprochen wurde auf Ebene des objektiven Tatbestandes, b) Prüfung der objektiven oder subjektiven Vertretbarkeit auf der Ebene des Vorsatz-/Fahrlässigkeitsvorwurfes nach § 8 FinStrG und c) Prüfung bei objektiver Unvertretbarkeit auf Ebene des Irrtums nach § 9 FinStrG, wobei bei sämtlichen Prüfungsschritten jeweils auf den Tatzeitpunkt abzustellen ist.
5. Fazit
Die vertretbare Rechtsansicht ist ausreichend zu begründen. Gleichermaßen wird sich daher der Beschuldigte – und auch die Behörde – u.a. damit auseinandersetzen müssen, wie der Beschuldigte zu dieser Rechtsansicht gelangt ist, Bildungsstand des Abgabepflichtigen, Sorgfaltsanforderungen im konkreten Fall, Inanspruchnahme von Beratern, sowie die Komplexität der Rechtsfrage samt den rechtlichen Grundlagen (gesetzliche Bestimmungen, Judikatur und Literatur) zum Tatzeitpunkt. Wie aus den vorstehenden Ausführungen erkennbar, liegt der Prüfungsmaßstab daher nicht in erster Linie an der sich aus der Rechtsordnung konkret verletzten gesetzlichen Norm, sondern WIE der Beschuldigte zur Vertretbarkeit seiner Rechtsansicht gekommen ist.[10]
6. Empfehlungen für die Betriebsprüfung
Es empfiehlt sich, die vertretbare Rechtsansicht schon in einem frühen Stadium einfließen zu lassen. Dazu eignet sich natürlich vor allem auch die Betriebsprüfung. Warum? Die Feststellungen in der Betriebsprüfung haben Indizcharakter auch für ein späteres Finanzstrafverfahren, da auch sämtliche Prüfungsberichte gelesen und durch die Finanzstrafbehörde ausgewertet werden. Daher kann auch im Rahmen der Einwendungen in der Betriebsprüfung die vertretbare Rechtsansicht schon so umfassend dargestellt und ausreichend begründet werden, dass in vielen Fällen schon ein nachfolgendes Finanzstrafverfahren verhindert werden kann.
Über den Autor:
Dr. Christian Eberl ist Rechtsanwalt und hat sich auf das Finanzstrafrecht spezialisiert, im Besonderen auf die Präventivabwehr im Vorfeld und die Begleitung des steuerlichen Vertreters des Abgabepflichtigen vor, in und nach der Betriebsprüfung iZm der finanzstrafrechtlichen Beratung/Verteidigung.
KONTAKT
Dr. Christian Eberl, Rechtsanwalt, Fachkanzlei für Finanzstrafrecht
christian.eberl@ra-eberl.at | www.www.ra-eberl.at
[1] Seiler/Seiler, Kommentar zum FinStrG, 5. Auflage, Rz 48 zu § 9 FinStrG
[2] Lässig, in WK zum StGB, 2. Auflage, Rz 2 zu § 9 FinStrG
[3] VwGH 6.8.1996, 95/17/0109; OGH 10.3.1992, 14 Os 61/91 sowie OGH 5.10.2006, 15 O 32/06d
[4] Siehe dazu die Ausführungen in VfGH 10.10.2018 (G-49-50/2017);
[5] VwGH v. 26.11.1998; 98/16/0199
[6] VfGH 3.7.1965, B 59/64
[7] VwGH 19.12.2001, 2001/13/0064
[8] Entschuldbarkeit bei Einholung von fachkundiger Auskunft möglich, dazu Lässig, in WK zum StGB, 2. Auflage, Rz 2 zu § 9 FinStrG
[9] BFG vom 5.7.2018, RV/3100302/2017
[10] Siehe dazu Aigner/Bräumann/Kofler/Tumpel, Vertretbare Rechtsansicht: In welchen Fällen kann sie eine Strafbarkeit im Finanzstrafrecht verhindern? in StAW Heft 2/2017, 134